Italien: Verfassungsreform und autoritäre Wende

Am 4. Dezember findet nicht nur die zweite Stichwahl für die Funktion des österreichischen Bundespräsidenten statt, sondern auch ein entscheidendes Verfassungsreferendum in Italien. Letzteres könnte ein politisches Erdbeben auslösen, das ganz Europa erschüttert.

Die Reform der Verfassung ist ein zentrales Projekt der Regierung Renzi und wurde von der Mehrheit des Parlaments bereits abgesegnet. Die geplanten Änderungen deuten alle in dieselbe Richtung: Es geht um eine Stärkung der Machtbefugnisse der Regierung und eine Einschränkung der Rechte des Parlaments.

Der Bevölkerung soll die Reform mit dem Argument schmackhaft gemacht werden, dass dadurch die „Kosten für das politische System“ z.B. durch die Abschaffung der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, sinken würden. Wie so oft klaffen auch hier Realität und Propaganda weit auseinander. Der Senat wird nämlich gar nicht abgeschafft, sondern es ändert sich nur die Zusammensetzung. In Zukunft sollen die Senatsmitglieder nicht mehr direkt von den BürgerInnen gewählt werden, sondern aus den Reihen der Regionalräte sowie der BürgermeisterInnen kommen bzw. vom Staatspräsidenten nominiert werden. Die Kosten sinken dadurch kaum. Die Regierung muss sich zukünftig aber bei Vertrauensabstimmungen nicht mehr dem Senat stellen.

Die Macht der Regierung wird auf alle Fälle ausgeweitet. So soll es künftig den Mechanismus geben, dass das Parlament von der Regierung aufgefordert werden kann, in einer bestimmten Sitzung Maßnahmen auf die Tagesordnung zu setzen, die sie für essentiell erachtet. Diese müssen dann prioritär im Parlament behandelt werden. Diese Verfassungsänderungen gehen Hand in Hand mit einem neuen Wahlgesetz, dem Italicum, die der stimmenstärksten Liste unabhängig von ihrer tatsächlichen Stärke die absolute Mehrheit der Parlamentssitze garantiert. So können theoretisch auch schon 20% der gültigen Stimmen für eine Absolute reichen.

Mit diesen Maßnahmen, die auf eine autoritäre Wende hinauslaufen, soll Italien regierbarer gemacht werden. Wer ein Interesse daran hat, zeigt sich sehr deutlich an der Liste der Befürworter dieser Verfassungsreform.

Angestoßen wurde die Debatte schon 2013 am vorläufigen Höhepunkt der Euro-Krise. Damals hat der Finanzriese JP Morgan davor gewarnt, dass die Verfassungen in Südeuropa, die allesamt das Produkt antifaschistischer Massenbewegungen waren, „einen starken Einfluss sozialistischer Ideen zeigen“. In Italien entstand die Verfassung nach der Befreiung vom Faschismus und enthält eine Vielzahl sozialer und politischer Rechte. Auch wenn diese Verfassung nie in die Tat umgesetzt wurde, so stellt sie doch ein Hindernis bei der Lösung der Krise dar.

Angesichts der tiefsten Wirtschaftskrise der Geschichte des Kapitalismus und der zunehmenden sozialen Instabilität ist es aus der Perspektive des Kapitals unerlässlich, dass die Regierungen nicht mehr so stark einer demokratischen Kontrolle ausgesetzt sind. Dem liegt die These zugrunde, dass es in den westlichen Staaten zu viel Demokratie gäbe, was eine Umsetzung notwendiger „Reformen“ (sprich: Austerität ohne Ende und Angriffe auf die Rechte der Menschen) erschwert.

Neben JP Morgan, das in Italien wichtige Interessen verfolgt (z.B. bei der Abwicklung der Krise der Großbank Monte dei Paschi di Siena), machen auch die Ratingagenturen Moody’s und Fitch Stimmung für ein „SI“ (ein Ja). Sie drohen recht ungeschminkt, dass Italien bei einem Sieg des „Neins“ höhere Zinsen auf Staatsanleihen zahlen müsste. Und auch das Who is Who der italienischen Großbourgeoisie von De Benedetti bis FIAT-Boss Marchionne hoffen auf ein „SI“. Eugenio Scalfari, der Gründer der Tageszeitung „La Repubblica“, bezeichnet indessen die Oligarchie als die „einzige Form der Demokratie“. Nur wenn wenige am Lenkrad sitzen, und die Bevölkerung wie Passagiere führt, könne Demokratie funktionieren. Als Vorbild zitiert Scalfari sogar die Entscheidungsmechanismen in der katholischen Kirche.

So offene Worte über den Charakter der bürgerlichen Demokratie finden wir sonst selten. Die Financial Times hat es auf den Punkt gebracht, worum es bei diesem Referendum geht: Die businessfeindliche Stimmung muss überwunden werden.

Ein NO zu den Regierungsplänen hätte zweifelsohne einen ähnlichen Effekt wie der Brexit, und würde die Krise in Europa einmal anheizen.

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